Max, Mischa und die Tet-Offensive von Johan Harstad war für mich eine DER Entdeckungen in meinem Lesejahr 2019. Sich auf dieses umfangreiche Werk voll einzulassen, ein echtes Erlebnis – Hier geht es zur Rezension!
Nun war es soweit, Johan Harstad kam zu einigen Lesungen nach Deutschland, auch ins Literaturhaus Frankfurt. Und was war das für ein fantastischer Abend – es folgen einige Highlights aus dem intensiven Gespräch zwischen Johan Harstad und seinem Moderator Bernhard Robben, der sichtlich Spaß daran hatte, diesen Autor zu interviewen – eine gelungene Kombination!
Über das Schreiben sagte Harstad: “You struggle with it, you fight to get it right” – ein Gefühl, dass sicherlich viele Schreibende kennen.
Er hätte nicht versucht, tausende Dinge in seinem Roman unterzubringen, es gab nur einfach so vieles, an dem er interessiert gewesen sei und es hätte großen Spaß gemacht, sich mit all dem zu beschäftigen. Zu Beginn hatte er (bevor er Vater wurde) teilweise bis zu 16 Stunden am Tag am Roman gearbeitet “You only come out to eat, say hello to your wife“. Gerade die Teile, die es nicht ins Buch geschafft hätten, schrieb er in den ersten drei Jahren, er sagt selbst, das meiste davon habe nichts getaugt, musste aber geschrieben werden. Insgesamt schafften es 561 Seiten (!) nicht bis ins fertige Buch.
Bis er das Gefühl hatte, dass sich alles im Roman verbindet, dauerte es fast sechs Jahre.
Den Anfang schrieb er spät, es hatte ihm geholfen, ihn zunächst wegzulassen, zumal er ganz bestimmte Vorstellungen für den Auftakt hatte. “I wanted the book to start plain, simple, almost dull“. Er zitierte den Spruch “You have to start writing where there is a fire“, leider fiel ihm nicht ein, von wem der Satz stammt, er fügte hinzu “I write, rewrite, but it all has to do with if there’s a feeling to it.”
Die Entscheidung das Buch zu großen Teilen in den U.S.A. spielen zu lassen, hatte mehrere Gründe. Es sollte ein Ort sein, der weit weg ist, der auf den jungen Max ganz neu wirkt und gleichzeitig seltsam vertraut, durch all die Produkte und das amerikanische Fernsehen, die ihn bereits mitgeprägt hatten. Als Harstad schon länger in Oslo lebte, realisierte er, dass auch er vermutlich nie in seine Heimatstadt Stavanger zurückkehren würde – wie Max. Er wollte ebenso, als er diese Entscheidung für die U.S.A. als Handlungsort traf, über etwas schreiben “i felt i knew“.
Den Teil zu schreiben, der in seiner Heimat Stavanger spielt, fiel ihm leicht, trotzdem hatte er ihn etwas vor sich hergeschoben. Denn er hatte sich selbst versprochen, dass er, wenn er mit diesen Kapiteln am Ende wäre, nicht schreibend dorthin zurückkehren durfte, sondern genau wie seine Hauptfigur Max, in den U.S.A. bleiben musste – um sich noch besser in seinen Protagonisten einfühlen zu können. Eines der zentralen Themen des Buches ist das Gefühl von Heimatlosigkeit – ein Grund dafür, dass Max Theaterregisseur wird. Denn unbewusst versucht er, mit dem Theater einen Ort oder Platz zu erschaffen, zu dem er stets heimkehren kann.
Als er gefragt wurde, wie weit gute Recherche gehen würde und ob sie vielleicht auch zu weit gehen könnte, erwiderte er ganz trocken: “Oh yeah!” und sorgte damit für einige Lacher im Publikum. Max’ Vater arbeitet als Pilot, also war auch das ein Recherche-Thema für Harstad: “If you are ever on a plane with me, you are safe!“. Ihn hätte es vor allem gereizt, sein Interesse für abseitige Dinge zu Literatur zu machen und somit vermeintlich abseitiges in Interessantes zu verwandeln. Als Beispiel nennt er das Asphaltieren von Straßen, dass er unglaublich spannend fand – rund 20 bis 30 Seiten darüber haben es aber dann doch nicht ins Buch geschafft.
Er würde so keine Partykonversation starten, aber es würde nicht wehtun, neue Dinge zu lernen, es sei eher eine Art von Meditation “it’s a way to get a grip on something, that isn’t literature yet“. Für ihn ist Recherche immer auch eine Art des Denkens.
Die vielen Theaterstücke, die sich durch das Buch ziehen, seien meist Ideen, die er im realen Leben aus Zeitgründen nicht umsetzen konnte. Um sich besser in seine Hauptfigur Mischa, eine Malerin einfühlen zu können, begann er, einige “ihrer” Bilder zu malen – was ihm zeitweise sehr viel leichter fiel als das Schreiben, weshalb er es nicht nur bei zwei, drei Bildern beließ, sondern auf rund siebzig Bilder kam, was er auch als eine exzellente Methode ausmachte, sich vor dem Schreiben zu drücken Es half ihm aber sehr, Inhalte des Romans visualisieren zu können, das Design und das visuelle Denken seien sehr wichtig für ihn.
Warum eigentlich die TET-Offensive im Titel?
Max versuche, über sein Leben zu erzählen. Der Titel sei quasi die Form, sie spiegele die Struktur des Romanes wieder, weil er versuche, all diese Geschichten und die seiner Freunde und Familie zu erzählen “200 places all at once“. Die TET-Offensive hatte, ganz egal wie man sie bewerte, den Kurs des Krieges verändert und das sei auch der Versuch von Max, der versuche, durch diese Geschichte den Kurs seines eigenen Lebens zu ändern.
Die deutschen Abschnitte las der Schauspieler Jochen Nix, eine ausgesprochen passende Wahl. Johan Harstad las die erste Seite des Romans auf Norwegisch vor, seine Erklärung, als er sich dafür entschuldigte, vom Smartphone abzulesen “I’m sorry, i forgot the book…and it is not an eBook, i actually took a picture from the first page” trug sehr zur Erheiterung des Publikums bei.
Was für ein Abend – die Erinnerung daran und natürlich das Buch werden mich noch lange begleiten!