Bei jedem neuen Buch von Haruki Murakami frage ich mich, zumindest leise, ob irgendwann der Moment gekommen sein wird, an dem es zwischen uns nicht mehr funkt. Sehr wahrscheinlich ist es nicht, aber würde es nicht geradezu anmuten wie ein Ereignis innerhalb seiner Geschichten? Eine Leserin, die sich in den ihr wohlbekannten Brunnen begibt, zu lesen beginnt und die Worte sprechen nicht mehr zu ihr?
Doch heute, heute ist es noch nicht soweit.
Ich habe mir einen Tee gekocht, es mir gemütlich gemacht, das Telefon auf Flugmodus gestellt und die Schlafzimmertür fest verschlossen. Wenn Murakami und ich uns nach langer Zeit des Wartens wieder begegnen, so tun wir das in Stille, nur für uns.
Und was ist das für ein Fest, den Einband aufzublättern, die Gestaltung zu bewundern, noch einmal tief durchzuatmen, bevor ich seine Welt erneut betrete. Eine Welt, in der Unerklärlichkeiten an der Tagesordnung sind, an der ich als gegeben hinnehme, was immer auch Murakami mir erzählt. In der ich mich glücklich noch tiefer in meine Kissen kuschle, denn ich fühle diesen ganz besonderen Erzählton geradezu körperlich und weiß – ich bin zuhause.
Mein Interesse für Baseball und Jazz ist außerhalb von Murakamis Kosmos gering und dennoch fasziniert es mich, wenn Murakami darüber schreibt, weil er es mit solcher Intensität tut. Das ist es, was ich spüre, seine tiefe Verbundenheit mit den Dingen, vergangenen Zeiten, eine Faszination für das Alltägliche und das Unerklärliche. Seine Helden haben meist nur wenig mit mir gemein. Und doch vereint uns oft die Melodie eines bestimmten Gefühls, die Sehnsucht und leise Melancholie.
Und manchmal läuft eine Erzählung so vor sich hin, nur um mich dann erst recht mit nur einem Satz, einer Wendung oder Formulierung wieder in die Gegenwart zu holen. An diesen Stellen frage ich mich dann jedesmal, warum ich je glauben konnte, dass es mit mir und diesem Autor enden könnte? Niemand schafft diesen Balanceakt so wie Haruki Murakami. Dieses scheinbar mühelose, beiläufige Erzählen um uns Leser*innen dann an unseren verletzlichsten Stellen anzurühren. Wenn ich aus seinen Büchern auftauche, bin ich ein wenig durchlässiger geworden, der Welt ein Stück entrückt.
Ich koche mir einen Kaffee und lese dann die letzte Geschichte. Klappe das Buch langsam zu, streiche noch einmal über den Klappentext und das Zitat von Patti Smith auf der Rückseite:
„Solange Murakami leben und schreiben wird, wird er dieses Universum erweitern.“
Mein Universum erweitert Murakami seit vielen Jahren zuverlässig immer wieder. Und ich weiß: zwischen uns ist es noch lange nicht vorbei.