Die Sprache des Wasser – Sarah Crossan

Ein sehr ungewöhnliches Format – nicht nur die äusserliche, sehr gelungene Verpackung, auch das Innere. Denn dieses Buch bedient sich nicht der üblichen Romanform, vielmehr hat die Autorin ihrer Protagonistin Kasienka eine geradezu lyrische Ausdrucksweise angedeihen lassen. Hier steht kein Wort zuviel. Und doch, zwischen den Zeilen soviel mehr, als blumige Schilderungen aussagen könnten. Es ist eine Geschichte von Einsamkeit, von einem Neuanfang in einem anderen Land, vom Fremd sein, vom Ankommen, vom Dazugehören, von Begabung und von Kampf. Ein sehr eigenwilliges Jugendbuch, dass ich gerne für den Schulunterricht empfehlen würde!

Das Licht zwischen den Meeren – M.L. Stedman

Eine Liebesgeschichte, die soviel mehr ist als das. Es ist die Geschichte eines Leuchtturmes und seiner Bewohner. Eines Paares, dass sich nichts sehnlicher wünscht als ein Kind. Und als das Schicksal zuschlägt, vor einer weitgreifenden Entscheidung steht. Stedman spielt mit moralischen Fragen, eingebettet in eine Geschichte voller Fragen, Schuld und unendlichem Glück. Was darf sein? Was kann ein Kartenhaus zum Einsturz bringen? Und wie weit darf man für sein Glück und die Liebe gehen? Für mich eine der berührendsten Neuheiten im Herbstprogramm.

Morgen vielleicht – Jessica Soffer

Liebe geht durch den Magen, so heisst es. Lorca wünscht sich eigentlich nichts mehr, als von ihrer Mutter, einer begnadeten Köchin wahrgenommen zu werden. Ein Lieblingsgericht der Mutter, an einem besonderen Ort genossen, scheint die Lösung zu sein. Dieser Roman ist vielschichtig und viel weniger vorhersehbar, als ich es zu Anfang erwartete. Denn ausser Lorca begegnen wir auch noch Victoria, deren Leben sich gerade im Aufuhr befindet. Kochen, Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe – eine Familientragödie, ein Buch über die Leidenschaft beim Kochen, ein New York Roman – dieses Buch hat wunderbar viel zu bieten!

Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich – Kjersti A. Skomsvold

Was wird aus einem selbst, wenn der geliebte Mann stirbt? Diese Erfahrung muss Mathea Martinsen machen, die hochbetagt nun plötzlich wieder auf sich allein gestellt ist. Ihre Versuche, sich wieder ein Stück der Welt zurückzuerobern, wirken verletzlich und manchmal anrührend, ein wenig spröde, fast eingerostet erscheinen ihre Bemühungen – kein Wunder, war sie doch über Jahrzehnte einzig mit ihrem Liebsten in engerem Kontakt. Dieser kurze Roman, fast mag ich es eine Novelle nennen, hält zudem ein paar feinfühlige Sätze parat, die im Ohr bleiben.

Unbekannt verzogen – Tom Winter

Fällt in die Kategorie: gemütliches Buch fürs Sofa, zum ein bisschen Seufzen und sich noch tiefer eingekuscheln, eine Sich-Wohlfühlen-Geschichte über zwei, die sich nicht kennen und doch näher kommen, als sie je geglaubt hätten. Das Buch, was man jemandem mitbringt, dem es nicht gutgeht, um ihm ein wenig Mut zu machen, ein bisschen zum Lachen zu bringen.

Kapital – John Lanchester

Ein opulenter Roman – nicht nur durch seine Dicke, auch durch die Fülle an Personen und Themen, die Lanchester hier versammelt. Der Klett-Cotta-Verlag mausert sich in letzter Zeit immer mehr zu einem Verlag, den ich im Auge behalte und auch mit diesem Buch hat er seinen Status wieder untermauert. Ein Kaleidoskop an Menschen, alle verbunden durch ihren Wohnort: die Pepys Road in London. Und durch eine Karte im Briefkasten, auf der geschrieben steht „Wir wollen, was ihr habt!“ – Werbegag, Drohung, Scherz oder geht es, wie so oft in diesen Tagen, einfach nur um Geld? Die Bewohner haben alle so ihre eigene Art, mit der ungewohnten Post umzugehen. Als Leser folgt man mit einem gewissen Vergnügen den ganz unterschiedlichen Lebenswegen, bangt, amüsiert sich, hält den Atem an – und fühlt sich zum Schluss einfach richtig gut unterhalten!

Ich nannte ihn Krawatte – Milena Michiko Flašar

Hat mir sehr, sehr gut gefallen. Ich hatte Gänsehaut, Tränen in den Augen – hier gehts um alles. Um das Leben, ums Überleben, mich hat es sehr berührt. Die Autorin malt in einer ganz unaufgeregten und doch poetischen Sprache so große Bilder. Hier treffen sich zwei Menschen, die der Gesellschaft verloren gegangen sind – im gemeinsamen Dialog finden die beiden ein wenig Halt im anderen und vielleicht auch ein wenig Weisheit. Dieses Buch ist so tieftraurig und auf der anderen Seite von so fragiler Schönheit… dieses Buch hat mich verändert und es wird auch andere Leser verändern, da bin ich mir sicher.

Hikikomori – Kevin Kuhn

Es mag daran liegen, dass ich 2012 bereits ein anderes Buch zur Thematik las, was mich tief berührte (Ich nannte ihn Krawatte), dass mich dieses Buch nicht komplett überzeugen konnte. Der Anfang gefiel mir gut, auch die Aufmachung machte mich neugierig, aber im Verlaufe des Buches konnte ich Till, der sich in seinem Zimmer geradezu einbunkert, einfach nicht mehr fassen. Anfangs hatte ich das Gefühl, es ginge ihm um eine Art Demonstration des einfachen Lebens, ein bisschen wie Thoreau oder um eine Leistungsverweigerung. Mit Fortschreiten des Buches, verlor aber, so glaube ich, selbst Till aus den Augen, was genau er bezwecken wollte (da könnte man nun ketzerisch fragen, ob denn alles Zweck und Sinn haben muss, aber gut…) – und liess mich mit einem gewissen Frust zurück. Schade, weil ich nicht sicher bin, ob es an mir liegt – am besten selbst rausfinden

Walden – Henry David Thoreau

“Ich war unabhängiger als irgendein Farmer in Concord, denn ich war nicht an ein Haus oder eine Farm verankert, sondern konnte dem Flug meines Genius, der sich jederzeit gern in Zickzacklininien ergeht, folgen.”

“Auf die Beschaffenheit des Tages selbst einzuwirken das ist die höchste aller Künste. Jeder Mensch hat die Aufgabe, das Leben selbst in seinen Einzelheiten der Betrachtung seiner höchsten und  kritischsten Stunde würdig zu gestalten”

Und natürlich kennt fast jeder das wunderbare Zitat, das in diversen Übersetzungen herumgeistert, wohl am bekanntesten ist die verwendete Form in “Der Club der toten Dichter

Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, daß ich gar nicht gelebt hatte.

Was soll ich sagen? Ich habe extrem viele Zitate aus diesem Buch niedergeschrieben. Es ist mehr als nur eine romantische Auseinandersetzung mit dem Allein-Sein. Es ist philosophisch. Es geht in die Tiefe. Es ist eine Auseinandersetzung mit Arbeiten, mit Konsum, mit der Frage was und wieviel man zum Leben braucht. Es sind Naturbetrachtungen, das Leben mit dieser (ehrlicherweise der Part der mich am wenigsten ansprach, Naturbetrachtungen sind generell nicht meine Baustelle). Es ist ein Experiment. Es hat heute noch Bestand, vielleicht sogar noch mehr, obwohl sich soviel in unserer Welt geändert hat. Es ist beeindruckend, bleibt haften und ändert den Blick.

Es ist ein Buch zum Entschleunigen. Zum Nachdenken. In der Sauna lesen. Im Wald. In Ruhe. Oder zur Fastenzeit, für mehr Klarheit, für Offenheit und die ein oder andere Frage an sich selbst.

Pferde stehlen – Per Petterson

Es gibt Bücher, da stimmt auf den ersten Blick alles: ein skandinavischer Autor, ein schönes Cover, egal auf welcher Ausgabe, ein ansprechender Titel. So erging es mir mit “Pferde stehlen“. Eine Familiengeschichte, ein Drama, das vielleicht gerade durch die ruhige, fast schon zu langsame Erzählart fast noch tragischer wirkt. Zwar sind die Landschaftsbeschreibungen Norwegens, die Stille und Ruhe wunderbar eingefangen worden, die Sprache reiht sich toll aneinander – die Geschichte aber ist mir manchmal fast zu vage gewesen, zu wenig klar. Es ist ein nachdenkliches Buch, eine Rückschau. Es lässt mich ein wenig ratlos zurück, ich konnte es zum Teil nicht richtig “greifen” – vielleicht habe ich etwas anderes davon erwartet.