Ich hatte mich sehr auf die neue Strout gefreut, kenne ich sie als Menschenkennerin mit einem Gespür für die Untiefen der Seele. Diese hat sie in ihrem neuen Roman auch wieder ausgelotet: allerdings nur von zwei der drei Hauptfiguren. Während sie es schafft, eine auseinandergebrochene Familie in all ihrem Versagen, Wünschen, Lastern und Sehnsüchten zu portraitieren, bleibt der Vorfall, um den sich das Buch dreht nebst der dritten Hauptfigur, blass. Bis zum Schluss waren die Beweggründe im Dunkeln, was mich irritiert hat. Nun stellt sich die Frage: soll man dem Klappentext die Schuld geben, weil er in mir eine Erwartung geweckt hat, die das Buch nicht erfüllen konnte? Oder sich freuen, dass es trotzdem ein lesenswerter Roman geworden ist?
Schlagwort: Ethik
33 Cent um ein Leben zu retten – Louis Jensen
Ein wenig in der Tradition von Janne Tellers „Nichts“ erschien im gleichen Verlag nun dieses Buch, ebenfalls eine Art von Experiment, dem der Leser folgt. Jensen hat es verstanden, durch seine Geschichte zu führen und den Leser aufzurütteln, ihn von seinem bequemen Sofa zu holen. Man fragt sich: wo führt diese moderne Robin Hood Geschichte hin? Denn auch, wenn die besten Gedanken hinter der Idee stehen, so stellt sich doch die Frage: wieviel kann der einzelne tun? Ganz sicher nicht nur für Jugendliche interessant, eine zukünftige Schullektüre und ein Buch zum Darüber-Sprechen.
Der amerikanische Architekt – Amy Waldman
Was wäre, wenn die anonyme Ausschreibung für die Gedenkstätte, die nach 9/11 am Ground Zero entstehen sollte, ein Mann namens Mohammed Khan gewinnt? Dieses Gedankenexperiment wagt Amy Waldman in ihrem Roman – und es gelingt ihr schnell, den Leser zu fordern: was würde ich tun? Auf welcher Seite stände ich? Welche Überzeugung kann ich vertreten, ethisch, moralisch, menschlich? Die Menschen, die vor dieser Entscheidung stehen: eine Jury, Überlebende, Zurückgebliebene, Politiker, der Architekt selbst – und dazu kommt die delikate Auseinandersetzung über Religion, Macht und Aussenwirkung. Für mich hält Waldman das Tempo, wird dem sensiblen Thema gerecht und schafft es bis zum Schluss, das Niveau zu halten und dem Buch einen runden Abschluss zu geben, was für mich oft die Achillesferse eines Romanes ist. Hat mir sehr gut gefallen, empfehle ich gerne weiter.
Wer die Nachtigall stört – Harper Lee
Auszug aus meinem Lesekreis: Achtung, kleine SPOILER!
Ich freue mich wirklich, das wir diesmal einen “Klassiker” gelesen haben. Bei uns wird das Buch durchaus häufiger mal auf englisch als Klassenlektüre bestellt und ich werde es jetzt auch zu genau diesem Zweck wärmstens empfehlen.
Der Stil hat mir total gut gefallen, einerseits die leicht naive und doch sehr treffende Erzählung von Scout und doch waren die Kommentare und Gespräche der Erwachsenen so wiedergegeben das man sehr viel zwischen den Zeilen lesen konnte. Ich fand das Buch las sich grade deswegen, weil es ein Kind erzählt so besonders gut.
Die Geschichte, die zunächst ein bisschen wie ein loses Gefüge aus mehreren Ereignissen daherkommt, verdichtet sich immer mehr. Grade Jems Verhalten wird durch nur kurze Andeutungen oder auch sein Schweigen gegenüber Scout viel besser beschrieben als das es viele Worte tun würden. Atticus ist eine Figur die mir persönlich als Vaterfigur sehr gefallen hat. Auf der einen Seite haben wir das Aufwachsen und auch “Erwachsenwerden” von Jem, auf der anderen Seite auch Scout die noch nicht alles versteht und doch teilweise mehr als soviele “schlaue” Erwachsene. Ich fand die Geschichte bis zum Schluss unheimlich spannend, die Gerichtsverhandlung, auch wenn “eigentlich” klar ist wie es ausgehen wird – total großartig geschildert.
Das Buch wirft sehr viele moralische und ethische Fragen auf, Wie hätten wir damals, in dieser Welt gehandelt? Und wie man an den Geschenken sieht die Atticus nach der Verhandlung bekommt, sieht man, das auch das Dorf sich ganz und garnicht sicher ist, ob seiner Weltanschauung. Auch heute noch gibt es solche Ungerechtigkeiten – haben wir den Schneid dazu, zu unseren Überzeugungen zu stehen? Machen unsere Gerichte wirklich alle Menschen gleich? Sind wir heutzutage frei von Vorurteilen?
Ich behaupte – nein. Wir werden alle, immer daran arbeiten müssen, immer auch gegen wiederkehrende Vorurteile ankämpfen müssen.
Als Resumee: Ein Buch das bleibt, das man trotz des ernsten Inhalts gerne liest und das fesselt. Absolut empfehlenswert!