Interview mit der Autorin Gabrielle Zevin

Anlässlich ihrer Lesereise in Deutschland hatten Alex von Readpackblog und ich die große Ehre, Gabrielle Zevin zu einem Interview-Termin in Frankfurt treffen zu dürfen. Für uns beide etwas ganz besonderes, hatten wir doch beide ihren Roman „Morgen, Morgen und wieder Morgen“ (übersetzt aus dem englischen von Sonia Bonné) mit Begeisterung gelesen. An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an den Eichborn-Verlag, der dieses Treffen überhaupt möglich gemacht hat!

Also, schnappt euch einen Kaffee und macht es euch gemütlich, wir haben nämlich eine ganze Weile mit Gabrielle gesprochen und ihr kommt somit in den Genuss eines sehr ausführlichen Interviews .

S: Liebe Gabrielle, schön, dass wir Dich heute treffen können, einen Tag vor deiner Lesereise durch Deutschland. Worauf freust Du Dich am meisten?

GZ: Wenn es nicht schon die Tatsache ist, dass ich aus meinem Buch lesen darf in einem Land dessen Sprache ich nicht spreche und sich so viele Menschen dafür begeistern, dann sind es die komplizierten deutschen Wörter. Es gibt diese ganze Reihe von deutschen Wörtern, die mein Interesse an komplizierten Wörtern in Deutsch geweckt haben. Also zum Beispiel „Torschlusspanik“ – ich kannte es nicht, aber als ich es kennenlernte, hatte ich das Gefühl „das beschreibt mich in meinen Zwanzigern“. Konstante Torschlusspanik, die ganze Zeit über. Und manchmal erzählt dir jemand von einem deutschen Wort und du denkst: „Das ist ein Gefühl, dass ich schon mein ganzes Leben lang hatte“ und für das wir im Englischen kein Wort haben, um es zu beschreiben. „Schadenfreude oder Weltschmerz“ wisst ihr?

S: Und diese deutschen Wörter sind oft so emotional, auch häufig verbunden mit negativen Gefühlen.

GZ: Ich habe keine deutschen Wurzeln, aber ich fühle mich trotzdem, als ob ein Teil von mir deutsch geprägt ist. Denn diese negativen, komplizierten deutschen Wörter helfen mir, mich besser zu fühlen. Denn ich denke dann „Oh, jemand anderes hat die gleichen Dinge durchgemacht“ und sie haben sogar ein Wort dafür gefunden.

S: Morgen, Morgen und wieder Morgen wurde in den U.S.A. letzten Juli veröffentlicht. War es schwer für Dich, diese Story gehen zu lassen? Gab es einen Punkt, an dem Du das Gefühl hattest, das Manuskript ist „fertig“?

GZ: Ich denke, es ist auch ein wenig das Ethos des Buches, die Idee, dass Du etwas überarbeitest, überarbeitest und nochmal überarbeitest und vielleicht eine Chance hast, es zu perfektionieren. Und so hat es sich für mich mit diesem Buch angefühlt. Jedesmal, wenn ich eine neue.. (hält inne). Ich hätte nie aufgehört, daran zu arbeiten, wenn es nicht Zeit gewesen wäre. Es gibt immer etwas, dass ich beweisen möchte, etwas, wo ich noch ein wenig tiefer gehen könnte. Aber ich fand es nicht so schwierig, mich von den Charakteren zu verabschieden. Für mich existieren sie auf eine Art wie entfernte Verwandte oder Menschen, die ich mal kannte aber jetzt nicht mehr treffe. Das ist okay für mich.

Es ist härter für mich, sie das erste Mal zu treffen, denn ich bin auf eine Art und Weise schüchtern. Ich weiß, ich wirke zunächst nicht schüchtern, aber im Inneren bin ich es.

S: Du hast in einem Interview gesagt, dass Du eine introvertierte Person bist, die sich als eine extrovertierte Person präsentiert.

GZ: Das stimmt! Ich denke, dass viele Menschen eine Art von sozialer „Maske“ aufsetzen müssen, um durchs Leben zu kommen. Besonders als Autor*in. Ich finde, dass die Person, die meine Bücher schreibt, relativ wenig mit der Person zu tun hat, die Werbung für sie macht. Es fühlt sich an, als ob die beiden sich nicht gut kennen, ich habe das Gefühl, dass sie sich auch nicht besonders mögen, aber sie unterstützen sich gegenseitig.

Was ich sagen wollte ist, es ist schwieriger, Charaktere zu treffen, als sich von ihnen zu verabschieden. Ich bin niemand, die ihre Charaktere kennenlernt, während sie schreibt. Ich möchte sie kennen, bevor ich anfange.

Wenn ich anfange, über jemand Neues zu schreiben, ist das für mich, als würde ich zu einer Party gehen und versuchen, Smalltalk mit dieser Person zu machen. Herauszufinden, ob man sich sympathisch ist, ein Gespräch in Gang zu bringen und die Person ist nicht immer erpicht darauf, etwas über sich selbst preiszugeben. Auch ein wirklich gut angelegter Charakter ist nicht immer einfach einzuschätzen. Das ist für mich der harte Part.

Wenn ich das Gefühl habe, dass ich einen guten Job gemacht habe (und ich glaube, dass ich das mit diesen Menschen geschafft habe) dann wünsche ich mir von den Leser*innen, dass sie sich fühlen, als ob sie jemanden kennengelernt haben und nach dem Lesen ein Gefühl von Verlust haben, weil sie nicht mehr mit den Personen reden können. Der Prozess des Gehenlassens, der ist „bittersweet“. Das erste Hallo hingegen ist eher ruhig und vor allem – anstrengend.

S: Welchen Ratschlag würdest Du einem jungen Menschen geben, wenn sie kreativ arbeiten wollen, egal ob es Schreiben, Design oder Schauspiel ist?

GZ: Ich habe eine einfache Antwort. Es gibt im Buch einen Ratschlag, etwas, was ich selbst hilfreich fand – es ist die Idee, dass es eine lange Zeitspanne gibt, in der dein eigener Geschmack nicht an deine Fähigkeiten heranreicht. Also ist das einzige, was du tun kannst, so oder so Kunst zu machen. Und ich denke, es ist wahr, weil es für mich wahr ist. Wo du also weißt, dass Du noch nicht das erreichst mit deiner Arbeit, was du selbst liebst, aber du musst trotzdem dein Bestes geben. Mach weiter mit dem Schreiben, mit dem reagieren auf Dinge, mit dem Erschaffen.

Ich würde sagen, dass für Menschen, die sich im kreativen Bereich bewegen und gleichzeitig auf Social Media aktiv sind, diese beiden Dinge nicht immer so einfach kompatibel sind, wie es vielleicht aussieht. Für mich ist die Arbeit ein Geheimnis. Die Person, die diese Arbeit bewirbt ist eine andere Person. Du musst dich deiner Arbeit komplett ergeben. Manchmal, obwohl es hart sein kann, ist es hilfreich, eine Pause zu machen davon, deine Kunst und deine Arbeit zu promoten.

Ich habe gerade schon einige Ratschläge gegeben, aber hier ist nun der letzte: Versagen ist wertvoll und kann ein wirklich kreativer Platz sein, wenn Du es zulässt. Versagen muss nichts sein, wo du da sitzt und verängstigt vor dich hin starrst. Versagen ist gut, denn niemand ruft dich an, es wird wirklich ruhig und du kannst darüber nachdenken, warum du die Dinge geschaffen hast, die du geschaffen hast. Über die Jahre hatte ich abwechselnd Erfolg und Fehlschläge. Und besonders als Frauen wird uns beigebracht, nicht zu versagen, nichts auszuprobieren. Als ich das erste Mal versagte, habe ich mich so geschämt. Ich hatte das Gefühl, wenn ich in den Laden gehen würde zum Einkaufen und alle würden sagen: „Das ist die Frau, deren Buch gefloppt ist!“ . Dass man mir keine Äpfel verkaufen würde und mich bitten würde, das Geschäft zu verlassen. Aber niemand hat mich erkannt. Niemand denkt über dich nach, wenn Du versagst, sie denken nur an Dich, wenn Du Erfolg hast. Ich bin nun im Reinen damit, dass ich versagen könnte, selbst wenn ich davor so viel dafür gearbeitet habe.

Gabrielle Zevin am Harvard Square (mit freundliches Genehmigung des Eichborn Verlags)

A: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Literatur und Gaming?

GZ: Ich denke, da gibt es Gemeinsamkeiten. Ich kann mich einem Stück Text Tag für Tag immer und immer wieder widmen und hoffen, dass ich es perfektionieren kann. Und das ist es, wo ich mich den Gamern am nächsten fühle. Gamer werden oft als eher faul angesehen, aber eigentlich benötigt es eine Menge Disziplin, um in bestimmten Arten von Spielen zu gewinnen. Hier ist die Ähnlichkeit zum Romanschreiben sehr deutlich, denn ich muss immer und immer wieder an die selben Stellen und Probleme rangehen, um sie am Ende lösen zu können.

Ich denke aber, dass das Buch sich nicht so sehr um Gamer dreht, eher um Gamedesigner. Menschen, die etwas erschaffen aber auch Menschen, die spielen. Klar, am Anfang sind sie Spieler, die Gamedesigner werden. Auch bei Gamedesign und Romanschreiben sehe ich einiges an Ähnlichkeiten. Aber: ich habe einen Freund, der ein Gamedesigner ist und seine Firma hat tausende Mitarbeiter, die an einem Spiel arbeiten, wohingegen ich nur mich selbst brauche beim Schreiben. Wenn ich im Buch ein Spiel erfinde, dann funktioniert das Spiel, weil ich sage, dass es funktioniert. Doch die Gamedesigner haben natürlich die erschwerten Bedingungen „ein Spiel muss Spaß machen“ und es steckt so viel Arbeit in einem Spiel, von so vielen Menschen, die einzelne Parts dazu beitragen. Auf gewisse Weise hat mich das Kennenlernen von Gamedesignern dazu gebracht, mehr Wertschätzung zu empfinden, für das im Vergleich einsame Schreiben an einem Roman.

S: Dein Buch hat einen großartigen, sehr diversen Cast – sie haben unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen. Sie sind zum Beispiel mit Rassismus und Sexismus konfrontiert, auch Geld ist ein Thema. Das schärft die Geschichte so sehr und gibt ihr eine enorme Tiefe. Wie wichtig ist Dir Repräsentation in Büchern, beziehungsweise im Generellen?

GZ: Das ist mir offensichtlich sehr wichtig. Es ist etwas, was mir leidenschaftlich wichtig ist! Ich mag Menschen eigentlich nicht, die so etwas sagen, aber ich glaube, es gibt zwei Arten von Romanautor*innen auf dieser Welt: da ist die eine Art, die sich entscheiden, Bücher zu schreiben, die nicht in dieser Welt stattfinden. Damit meine ich Bücher, die dir helfen, dieser Welt zu entfliehen und die nichts aufgreifen, was in der Welt passiert. Und ich verstehe, warum Leser*innen diese Romane mögen. Man liest aus unterschiedlichsten Gründen.

Aber ich als Autorin schreibe Bücher, die in dieser Welt verankert sind. Und um Bücher zu schreiben, die wahrhaftig in dieser Welt stattfinden, muss ich mich mit den Menschen und den Dingen unserer Welt beschäftigen. Und ich glaube, dass das ein Dilemma für viele Autor*innen heutzutage ist: wie machst Du das am besten?

Für mich war der Durchbruch zu verstehen, dass es immer mit einer recht harschen Betrachtung meiner selbst anfängt, wenn ich einen neuen Charakter schreibe. Ich muss also überlegen und sehen: wo liegen meine Privilegien? Wo sind meine Vorurteile und wo ist der Unterschied zwischen mir und jemand anderem? Und das gilt für alle. Manche sind dir nah, Sam und ich haben zum Beispiel den gleichen, ethnischen Hintergrund. Und manche sind weiter weg von dir, sind ganz anders als du. Und ich glaube, dass ich das zunächst nicht getan habe, als ich anfing, zu schreiben. Ich habe bestimmte Dinge für gegeben erachtet, dass meine Erfahrungen im Leben dieselben wären wie für andere Leute, aber das stimmt nicht. Meine Erfahrung ist lediglich meine Erfahrung. Das war das spannende und aufregende daran, Charaktere zu beschreiben, all das einbringen zu können, was ich als Person vielleicht nicht erfahren habe und es durch die Augen eines anderen sehen zu können.

Wenn ich darüber nachdenke, dann ist die Herausforderung, die Welt zu sehen, wie sie ist und sie trotzdem zu lieben. Wisst ihr? Die Menschen so zu sehen, wie sie eben sind (das ist etwas einfacher für mich) und sie trotzdem zu lieben. Und ich glaube, es gibt durchaus Unsicherheiten, einen Protagonisten mit Behinderung zu schreiben, dass Du es nicht authentisch hinbekommst. Das ist eine Angst, mit der wir Autor*innen glaube ich alle leben. Denn von dem her, was die Leute oberflächlich sehen können, habe ich keine Behinderung. Und trotzdem ist für mich das Schlimmste, die Welt nur mit Menschen, die genauso sind wie ich, abbilden zu wollen. Lieber riskiere ich hier und da mal eine Figur nicht ideal zu erfassen. Und das soll natürlich nicht heißen, dass ich nicht alles versuche was ich kann, so empathisch wie möglich und mit großer Zuwendung zu schreiben – und ich versuche, alles was ich nur kann zu recherchieren. Aber ich weiß, ich werde trotzdem hier und da auch mal falschliegen, aber lieber das, als eine Welt, die nicht die ganze Palette an Menschen abbildet. Für mich bedeutet das auf eine Art, die Welt in der ich lebe und die Menschen darin zu ehren.

Ich glaube übrigens auch, dass viele Menschen, die keine Behinderung haben aber über Behinderung schreiben, glauben, dass ihnen das nie passieren könnte, dass das eine Welt ist, die ihnen für immer verschlossen bleiben wird. Aber es ist doch tatsächlich so, dass wir alle jederzeit zu behinderten Menschen werden können – dass sie sich das nicht vorstellen oder verstehen können, ist ein Mangel an Imagination von ihrer Seite aus.

A: Warum hast Du Sam als eine Figur mit einer Behinderung anlegt, warum war dir das wichtig?

GZ: Ich habe mir selbst eine Frage gestellt, als ich anfing, das Buch zu schreiben. Wer profitiert am meisten von Gaming? Zum Beispiel im Falle von Sadie. Ich dachte: „Oh, sie wird als Kind traumatisiert, weil sie miterleben muss, dass ihre große Schwester fast stirbt. Spiele ziehen sie an, weil sie dort eine Welt vorfindet, in der Sterblichkeit in dem Sinne nicht existiert. Sie will verdrängen.“ Im Falle von Sam – auch er hat ein großes Trauma in seiner Kindheit erlebt, sogar ein noch größeres als Sadie. Außerdem habe ich gemerkt, wie sehr Sam in seinem Kopf gelebt hat, mehr als in seinem Körper. Der Körper, den er besitzt ist nicht so funktional, wie ein Körper in den er in einem Computerspiel schlüpfen konnte. Das war etwas, was ihn anzog, eines der Dinge. Aber ihn nur auf seine Behinderung zu reduzieren, erschien mir immer als limitierend. Ja, er ist behindert, aber er nennt sich selbst nie behindert. Er ist asian und jüdisch, genau wie ich. Er ist in vielem anders, er ist ein Mathegenie, er ist all diese verschiedenen Dinge in einer Person. Bei ihm fragte ich mich: warum würde jemand sein Leben dem designen von Computerspielen widmen? Und das war für mich der Grund.

Ich denke, er hat schon bevor er seine Behinderung hatte, gezockt. Und dann habe ich mich gefragt, was passieren würde, wenn ihn die Spiele enttäuschen würden. Wenn diese Art von Hilfe und Unterstützung so problematisch für ihn werden, dass sie (die Spiele) ihm nicht mehr helfen können. Auch das hat mich interessiert.

A: Ist seine Behinderung vielleicht eine Stärke für ihn in dieser Arbeit?

GZ: Auf jeden Fall! Es macht ihn überdurchschnittlich empathisch, ich glaube auch, es lässt ihn fokussierter sein. Weil er eben nicht Sadie ist, kann er viel mehr darüber nachdenken, wie andere Menschen das Spiel genießen werden. Er ist da sehr idealistisch. Er sagt immer: „Ich möchte etwas machen, was wir als Kinder gemocht hätten“ und ich glaube, dieses Denken hilft ihm, sich in sein Publikum hineinzuversetzen. Denn das Publikum ist gleichzeitig auch er selbst.

Und ich glaube, auch später im Buch, als er zu Major Mazur wird, ist auch das eine Möglichkeit für ihn – denn vieles von der Reise von Sam handelt auch davon, sich selbst zu akzeptieren – ohne davon konkret zu erzählen, es doch zu tun. Sam spricht niemals auf einer Konferenz für Behinderung oder dergleichen. Für ihn ist es aber eine große Sache, als er die Figur Major Mazur mit einem Gehstock darstellt. Die Idee, ihn sowohl als Rockstar in seiner Welt und gleichzeitig als Mensch mit Behinderung zu zeigen. Das ist Stärke und ein großer Part seines Narratives.

Ich habe nur wenige Ziele für Narrative, aber wenn ich ein bestimmtes Ziel auswählen müsste, dann wär es, ein Buch geschrieben zu haben, in dem Krankheit/Behinderung ein Teil des Lebens ist. Und herauszufinden, wie wir alle in unseren Körpern leben können, etwas, was uns alle beschäftigt. Ganz egal, wie dein Körper aussieht oder beschaffen ist.

Manchmal lese ich Geschichten über asiatische Menschen die in Amerika spielen. Das liest sich dann etwa so: „Es war einmal ein „asiatischer“ Mensch“ – (diese Lücke könnte auch anders gefüllt werden). Aber ich wollte über diese Gruppe von diversen Menschen schreiben, die DINGE tun. Die ein Leben haben und eine Profession, ein Mensch mit Behinderung zu sein ist nicht alles, was sie ausmacht. Dennoch ist die Behinderung Grundlage für alle Entscheidungen die er im Buch trifft, für die Arbeit, die er macht, ein Teil seiner Beziehungen, ein Part dessen, wie er die Welt erlebt. Es ist absolut essentiell für ihn, aber es ist kein Buch über „Sam Masur – ein Mann mit Behinderung“.

S: Was magst Du am meisten an Sadie? Was war dir wichtig bei Sadie als Protagonistin?

GZ: Ich konnte etwas tun, was ich unbedingt tun wollte – nämlich eine Protagonistin haben, die zwei Meinungen zur gleichen Zeit haben kann. Das mochte ich so an dem Schreiben über Sadie. Denn wir Menschen machen das alle die ganze Zeit! Wir verhalten uns nicht so, wie wir denken würden, wisst ihr? Wir sagen nicht genau, was wir wirklich meinen. Dieses widerspenstige Verhalten wollte ich gerne einfangen.

Und mit Sadie, ja, es ist witzig, denn ich lese nicht besonders viele Rezensionen, aber ich sehe doch recht häufig, dass jemand schreibt: „Ich liebe das Buch, aber ich habe Sadie gehasst!“ und das macht mich ganz schön traurig. Denn auf eine Art und Weise sagt es eventuell aus, dass Du keine Frauen mit Ambitionen magst. Sie ist für lange Zeit die einzige Frau weit und breit – das ist keine einfache Position.

Aber ich mochte Sadie am liebsten, wenn ich über ihre Ambitionen schrieb. Weil das mir selbst lange sehr nah war und vermutlich immer noch ist. Ich habe das starke Bedürfnis, „gut“ zu sein. Ich mag auch andere Dinge an Sadie, aber es hat mir beim Schreiben Spaß gemacht, an den Punkt zu kommen, an dem es mir egal war, ob die Menschen Sadie mögen würden. Mein Partner witzelt immer, dass wir ein T-Shirt drucken sollten mit „Everybody is hating Sadie Green“. Wenn ich an Sadie denke, glaube ich aber, dass es ihr egal wäre, ob Menschen sie nicht mögen würden.

S: Eines der Kernthemen des Buches ist Freundschaft und ihre Entwicklung über die Jahre. Sam und Sadie machen gemeinsam so einiges durch in den etwa 30 Jahren, die das Buch umfasst und es gibt mehrere Stellen, an denen sie sich gegenseitig enttäuschen. Was hat Dich dazu inspiriert, Freundschaft und kreative Zusammenarbeit näher zu erforschen?

GZ: Ich glaube, es hat damit angefangen, ein Buch über eine andere Art von Liebe schreiben zu wollen, das in eine andere Richtung geht, als viele Bücher und Filme es uns typischerweise erzählen. Ich habe über Freundschaft nachgedacht. Freundschaft ist eine der am meisten mißbrauchten Beziehungen in unserem modernen Leben, wir benehmen uns wie…im Endeffekt kannst du eine Freundschaft beenden und nichtmal eine Nachricht schreiben. Du kannst einfach davongehen und die Person nie wieder sehen. Das kommt daher, weil wir Freundschaften oft nicht als „produktiv“ sehen. Andere Beziehungen führen dazu, dass man gemeinsam ein Haus kauft, Kinder bekommt, all diese Dinge. Und trotzdem ist Freundschaft vielleicht die schönste Art der Liebe, weil es einfach nur für sich selbst existiert. Du musst nichts damit tun oder erreichen. Das war es glaube ich, was ich beim Schreiben des Buches erkunden wollte.

Ich weiß nicht, ob ihr euch noch an den Film „Harry & Sally“ erinnern könnt und die These, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können – was für eine schreckliche Idee! Denn das hält uns davon ab zu denken, dass wir Kolleg*innen sein können und produktiv zusammen arbeiten können. Nicht alles muss zu einer Beziehung führen. Und ich habe es geliebt, dass ich nicht genau sagen konnte, was da genau zwischen Sam und Sadie war. Dafür gibt es vermutlich ein großartiges deutsches Wort (lacht). Diese bestimmte Art von Freundschaft, die nicht zu einer romantischen Beziehung führt. Aber ich habe die Wärme zwischen den beiden geliebt und was Sam für Sadie war und Sadie für Sam. Man kann ihre Beziehung nicht leicht mit Worten definieren, auch die beiden können es nicht. Wir müssen respektieren, dass wir für dafür noch nicht die richtige Sprache gefunden haben.

A: Ich habe mich sehr gefreut, dass Gaming in deinem Buch so eine große Rolle spielt, es ist ein oft unterschätztes Thema. Welche drei Spiele würdest Du mit auf die berühmte einsame Insel nehmen?

GZ: Ich habe ein paar lustige Antworten und ein paar ernste zu dieser Frage Natürlich wäre es schlau, Brettspiele mitzunehmen, weil wir dafür keinen Strom bräuchten. Aber wenn wir Strom hätten… es ist nicht einfach zu sagen, was ich mitnehmen würde. Natürlich will man ein langes, gutes Spiel mitnehmen, denn es gibt ja nichts anderes zu tun. Deshalb würde ich „Zelda – Breath of the wild“ mitnehmen. Und dann die Nintendo Wii Sports, damit ich auf der Insel trainieren kann. Ich würde danach Tennisprofi sein!

Und das letzte wäre eine App – ich würde Duolingo mitnehmen. Für mich ist Sprachenlernen auch eine Art von Spiel und ich genieße es gerade sehr, „ein bisschen deutsch“ zu lernen!

Wenn ich vier Spiele mitnehmen dürfte, dann würde ich noch Stardew Valley mitnehmen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich es genauso mögen würde, wenn ich in der Realität mein eigenes Gemüse anbauen müsste.

S: Wenn Du es dir aussuchen könntest – würdest Du lieber eine Nacht lang zocken oder lesen?

GZ: Ich glaube, dass ich eine ganz andere Person bin, je nachdem ob ich gerade lese oder spiele. Ich mag es, mit anderen und meinem Partner gemeinsam zu spielen.

Aber lesen ist eine Angelegenheit für einen alleine und doch ist man in einer Art von Beziehung mit demjenigen, der das Buch geschrieben hat. Es sind so unterschiedliche Parts, die da angesprochen werden, ich glaube, ich kann nicht wählen! Aber am Ende würde ich mich als Autorin doch für das Lesen entscheiden. Als ich mein erstes Buch herausgebracht habe und es nicht gut lief und ich bereits am nächsten arbeitete, hatten sich Besuche im Buchladen für mich sehr verändert. Du gehst in den Laden und siehst bestimmte Autor*innen, die es in die Auslage geschafft haben. Ich hatte mich vorher nie gefragt, warum das so ist. Bis du dann siehst, dass dein Buch es nicht in die Auslage geschafft hat. Ich habe eine deutliche Veränderung in meinen Gefühlen für das Lesen bemerkt. Ich hatte Lesen zuvor nie als Unterhaltung gesehen und habe bemerkt, dass ich in diesem Jahr dann mehr Spiele gezockt habe. In meinem Leben funktioniert es also so, besonders, wenn ich gerade ein Buch veröffentlicht habe, dass ich denke: „Ich muss etwas anderes tun als lesen, sonst werde ich verrückt!“ Es muss nicht unbedingt Gaming sein, aber es ist recht normal für Autor*innen, dass du etwas anderes machen musst als nur zu schreiben, sonst würde es nur noch Autofiktion geben. Aus diesem Grund mag ich Gaming – weil es nicht schreiben ist. Menschen sind von Natur aus spielfreudig – in einem bestimmten Alter bekommen wir beigebracht, dass nun der Ernst des Lebens beginnt, aber wir spielen trotzdem die ganze Zeit. Spielen ist gesund, spielen erlaubt uns kreativ zu sein und uns selbst zu entdecken. Das ist der große Vorteil von Videospielen – und um was es sich um Buch dreht.

A: Liebe Gabrielle, vielen Dank für deine tollen Antworten und dass Du Dir extra Zeit für uns genommen hast. Wir freuen uns schon sehr auf dein nächstes Buch!