Shortlist-Lesung im Frankfurter Literaturhaus

Fast hat es schon Tradition, die alljährliche Lesung der sechs Autorinnen und Autoren der Shortlist im Frankfurter Literaturhaus. Wenn ich eine Karte ergattern kann, bin ich üblicherweise dort anzutreffen. Für mich hat dieser Abend auch im Nachgang immer ganz viel Wirkung. Man lernt die einzelnen Charaktere kennen, bekommt einen gewissen Eindruck von Text und Autor*in. Es gibt danach immer ein paar schöne Zitate und Geschichten aus dem Abend, die man im Buchladenalltag weitererzählen kann und diese Lesungsabende haben mich immer wieder auch Entdeckungen machen lassen.

Dieses Jahr waren wir eine bunte Truppe, das halbe Buchladen-Team war vertreten, außerdem waren Isabella von novellieren und Ilke von Buchgeschichten mit mir dort, wir alle drei in unserer Eigenschaft als Buchbloggerinnen für den Deutschen Buchpreis. Uns allen hat der Abend  gefallen und wir hatten uns vorab wunderbar einstimmen können – Ilke hatte uns, als erfahrene Booktuberin nämlich eingeladen, mit ihr ein Video zu drehen – Film ab!

Der Abend also! Von den sechs Autor*innen waren fünf anwesend, Gerhard Falkner war leider verhindert.

Mit Abstand am charmantesten zeigte sich Franzobel im Gespräch mit Sandra Kegel (F.A.Z). Ob es am österreichischen Akzent lag? Er erzählte sehr gelassen und mit trockenem Humor von der Entstehungsgeschichte seines Romans Das Floß der Medusa. Auch seine Lesung überzeugte. Dafür, dass die Thematik für mich persönlich nicht ganz so ansprechend ist, hat er es beim Vorlesen und bei meinem eigenen Reinschnuppern in die ersten 50 Seiten des Romans dennoch geschafft, mich zu unterhalten.

Marion Poschmann kam, las und siegte. Also zumindest gewann sie mein Herz, was vermutlich nicht ganz überraschend kommt, bedenkt man, wie gut mir “Die Kieferninseln” gefallen hatte. Im Gespräch mit Alf Mentzer erzählte sie von ihrer Zeit in Kyoto, darüber, wie sie sich in Japan “gleich am richtigen Platz gefühlt habe“. Zwischen den beiden stimmte die Chemie, es machte Freude, ihnen zuzuhören. Auch ihre beiden ausgewählten Textstellen machten Lust auf mehr, eine gute Wahl. Links von mir freute sich meine Kollegin nun nochmal mehr auf die Lektüre, auf dem Sitz vor mir freute sich unser Auszubildender auf das Buch – Poschmann konnte auch ihn überzeugen!

Was mich besonders freute – die leise Kritik, die ich in meinem Leseeindruck am abrupten Aufbruch des Protagonisten anklingen liess, erklärte Poschmann ebenfalls. Viele Menschen hätten ja schon einmal übereilt eine Entscheidung getroffen, die sie dann, je mehr ihnen klar wird, dass sie vielleicht überstürzt handelten, versuchen, vor sich selbst zu rechtfertigen. Sie probieren, Argumente zu finden und ihrem Handeln dadurch einen tieferen Sinn zu verleihen. Diese Erklärung macht den Beginn für mich viel stimmiger.

Bei Gert Scobel (3sat) und Robert Menasse konnte man deutlich merken – die beiden hatten sich auf dem falschen Fuß erwischt. Scobel mühte sich ein wenig mit den Fragen ab, Menasse schien leicht genervt zu sein, weil ihm die Fragen nicht recht zusagten. Eine unglückliche Kombination, obwohl diese unfreiwillige Komik auch für einige Lacher sorgt. Sehr viel gelacht wurde dann aber, als Menasse den Anfang seines Romans “Die Hauptstadt” vorlas. Die “Schweineszene” eigenet sich hervorragend als Einstieg, denn das Schwein wirkt als verbindendes Element der Protagonisten und der Saal war fest in Menasses Hand. Auch wenn der Einstieg sehr komisch ist – dieser Roman hat noch weit mehr zu bieten. Ich stecke gerade mittendrin und bin wirklich angetan: ein kluges, aktuelles Buch mit interessanten Figuren und tiefen Einblicken in das Geschehen der EU-Kommission in Brüssel. Dem holprigen Anfang entsprechend wartete Menasse dann auch nicht darauf, dass Scobel zum Ende seiner Moderation kam, sondern entliess sich kurzerhand selbst von der Bühne – ein passender Abgang!

Nach der Pause ging es mit Sasha Marianna Salzmann weiter, im Gespräch mit Sandra Kegel. Im Gegensatz zur Dramaturgie und der Arbeit als Theaterautorin “gleiche das Romanschreiben eher einer Langzeitbeziehung.” Über die Wahl ihrer Themen sagte sie selbst, dass sie sich nicht “ein Trend-Thema ausgesucht habe, sondern schlicht über ihre Lebensrealität schreiben würde“. Das Gespräch zerfaserte für meinen Geschmack irgendwann ein wenig zu sehr, ohne, dass ich es an einem bestimmten Punkt festmachen könnte. Der Roman “Ausser sich” konnte mich bisher (Seite 100) in weiten Teilen überzeugen, dennoch packt er mich nicht zu 100%, ein Eindruck, der sich mit dem der Lesung deckt.

Mit Thomas Lehr und Alf Mentzer wurde der Abend beschlossen. Im Nachhinein tat mir Lehr etwas leid – zu diesem Zeitpunkt war das Publikum bereits etwas unruhig geworden, der Abend war bereits lang gewesen und die Konzentration ließ nach. Gerade ihm, der das umfangreichste Werk der Shortlist geschrieben hat, hätte ein früherer Zeitpunkt gutgetan. Trotzdem schlug er sich tapfer und auch Alf Mentzer spart nicht an Tipps für die Lektüre, die er als anspruchsvoll und auch durchaus herausfordend empfand, aber eben auch als eine sehr lohnende Lektüre. Man merkte Lehr an, dass es ihm nicht darum ging, einen opulenten Roman abzuliefern, sondern dass er in jedes seiner Themen verliebt ist und gerne darüber spricht, dafür begeistern will. Er sagte, dass es ihn reizen würde “Neuraum” zu betreten und genau das habe er mit “Schlafende Sonne” versucht. Auf die Frage, ob er fände, dass es ein anstrengendes Buch sei, antwortete er trocken: “Also, für MICH nicht!” Auch, wenn ich Lehrs Roman wohl nicht mehr lesen werde, hat es mich dennoch gefreut, diesen facettenreichen Autor kennenzulernen – vielleicht gehe ich das Wagnis ja doch noch irgendwann ein!

Das war er also, der Shortlist-Abend.

Für mich haben sich an diesem Abend die folgenden drei als heiße Kandidaten auf den Buchpreis herauskristallisiert. Poschmann wäre meine Siegerin der Herzen (und wenn sie nicht gewinnen sollte, wäre es kein Beinbruch – ihren Roman werde ich so oder so mit Freude verkaufen und empfehlen!). Ich vermute stark, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Franzobel und Menasse geben könnte. Franzobel überzeugt durch ein ungewöhnliches Thema, eine Metapher auf aktuelle Geschehnisse und durch das Erforschen eines der tiefsten Themen der Menschheit, die eigene Existenz und ihre Bedrohung. Menasse hingegen wartet mit einem Roman auf, dem man die Erfahrung als Romancier anmerkt, der sehr aktuelle Themen aufgreift und einen Querschnitt durch die Gesellschaft liefert – ich denke, damit hat er eine sehr große Chance, den diesjährigen Deutschen Buchpreis zu gewinnen.

In nicht mal mehr zwei Wochen wissen wir dann mehr – wer konnte am Ende der Jury am meisten bieten? Was wird als der beste Roman des Jahres ausgezeichnet? Ich jedenfalls war nach der Lesung im Literaturhaus nochmal mehr von der Shortlist überzeugt, die uns durch unterschiedliche Themen und Schwerpunkte eine breite Palette der Literatur zeigte.

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